Selbst Praktika gibt’s online
24.03.2021In Reaktion auf die coronabedingten Einschränkungen hat der Lehrstuhl für Physikalische Chemie II eine attraktive Online-Lehre organisiert. Der Erfolg zeigte sich am Ende in der Klausur.
Virtuelle Lehre geht, und sie geht sogar brillant. Das hat Tobias Hertel, Inhaber des Lehrstuhls für Physikalische Chemie II an der Uni Würzburg, in diesem Wintersemester gemeinsam mit seinen Kolleginnen und Kollegen am Institut für Physikalische und Theoretische Chemie bewiesen. Viel Zeit investierten der Professor und seine Mitstreiter Dr. Merle Röhr, Dr. Friedrich Schöppler und Dr. Hans-Christian Schmitt in den vergangenen Monaten in neue Lehrkonzepte für die aktuelle Zeit des Distanzlernens. Hertel kreierte mit seinem Team eine Online-Vorlesung, Online-Übungen sowie virtuelle Praktika für Chemiestudierende. Der Erfolg übertraf alle Erwartungen: Kein einziger Studierender scheiterte am Ende bei der Klausur.
Es musste so schnell wie möglich ein alternativer Plan her, das war Tobias Hertel bald nach Ausbruch der Pandemie klar. „Letztes Jahr begann ich deshalb sechs Wochen vor Beginn des Sommersemesters, Videos aufzunehmen“, berichtet der Dozent. Die zeigten, in „Häppchen“ von zehn bis 20 Minuten verpackt, was sonst in der Vorlesung besprochen wird. Hertels Angebot für das Wintersemester ging weit über diese erste Modifikation der Lehre hinaus. Der Nanoexperte kreierte ein Online-Vorlesungsformat mit Kurztests, Vorträgen, Quizzen und Diskussionsrunden, das von den Masterstudierenden bestens angenommen wurde.
Digitale Alternative zum Praktikum im Labor
Der Campus war im Wintersemester nicht völlig ausgestorben, einige Chemiestudentinnen und Chemiestudenten nutzten die Labore, um ihre Praktika zu absolvieren. Doch auch hier gab es ergänzend eine Online-Alternative: Praktikumsleiter Hans-Christian Schmitt drehte Videos von Versuchen, die nicht unbedingt selbst im Labor durchgeführt werden müssen. „In einem der Videos geht es zum Beispiel darum, wie sich ein Molekülkomplex entfärbt“, erklärt er. Die Studierenden schauten sich die Filme zu Hause an, im Anschluss schrieben sie ein Protokoll, gestalteten ein Poster oder bereiteten einen Kurzvortrag vor.
Angehende Chemikerinnen und Chemiker zittern oft ganz schön vor der nächsten Prüfung, die Durchfallquote bei den Klausuren ist vergleichsweise hoch. Umso bemerkenswerter war das Ergebnis, das die Masterstudierenden im Anschluss an Hertels Online-Vorlesung erzielten. „Die Klausur, die wir zu dieser Vorlesung geschrieben haben, war seit Jahren die erste, in der keine Studenten durchgefallen sind“, sagt Hertel. Rund 40 Studierende nahmen teil. Ein Viertel entschied sich, an die Uni zu kommen, drei Viertel wählten die von Assistenten des Chemie-Instituts überwachte Online-Variante. Mit der Note 1,1 war außerdem das Evaluationsergebnis für das halb analoge, halb virtuelle Praktikum hervorragend.
Online-Lehre fordert spezielle Konzepte
Online-Lehrangebote zu stricken, kostet mit allem Drum und Dran mindestens so viel Zeit wie die Lehre in Präsenz, sagt Hertel. Kreiert der Physikochemiker eine völlig neue Vorlesung, investiert er bis zu 40 Stunden pro Woche. Genauso viel Zeit ging nun dafür drauf, die virtuelle Vorlesung zu konzipieren. 13 Einzelvorlesungen gab es zum Schwerpunktthema „Supramolekulare Chemie“. Bevor die Vorlesungen um 16.15 Uhr starteten, lud Hertel die Studierenden stets zu einem Kurztest ein. Wer alle 13 Kurztests gut bestand, hatte schon mal 15 Prozent der Gesamtnote sicher. Die Kurztests und die Quizze während der Vorlesung scheinen zum sehr guten Endergebnis beigetragen zu haben.
Bis zur Wiederaufnahme der analogen Arbeit an der Uni wird wahrscheinlich noch einige Zeit vergehen. Umso wichtiger ist es für Hertel, Online-Konzepte zu schaffen, die wirklich attraktiv sind und die Studierenden bei der Stange halten. Wenig attraktiv ist es, 90 Minuten am Stück zu dozieren. So manch ein Student schaltet dann ab. Hertel spricht bei seinen Vorlesungen maximal 30 Minuten, dann gibt es eine Unterbrechung. Beim Quiz zwischen dem ersten und zweiten Block werden Multiple-Choice-Fragen gelöst. Wie verhält es sich zum Beispiel mit der Born-Energie? Ist die grundsätzlich immer positiv? Zwischen Block zwei und Block drei wurde immer in Kleingruppen diskutiert.
Auch Skeptiker waren am Ende überzeugt
Ja, sagt Tobias Hertel, er war einigermaßen überrascht, wie gut seine Masterstudierenden diesmal abgeschnitten haben. Und wie gut alles geklappt hat. Selbst die 60-minütige Übung seines Kollegen Friedrich Schöppler, die zur Vorlesung gehört, funktionierte online problemlos. Durch die Übungen, bei denen es sich um Rechenaufgaben handelt, werden die Lehrinhalte vertieft. Jeweils eine Woche haben die Studierenden Zeit, die Aufgaben zu lösen, dann werden die Ergebnisse besprochen. Bisher live. Nun online während einer Zoom-Konferenz.
Hertels Online-Konzept vermag es, selbst Skeptiker zu überzeugen – und die gab es anfangs natürlich. Vor allem in puncto Praktika. Erfasst man wirklich mit Videos genauso viel wie im Labor? Diese Frage tauchte zu Beginn des Wintersemesters öfter auf. Bei Praktika lernen Studierende, Geräte und Werkzeuge zu bedienen. Das geht auch tatsächlich nur zum Teil online: „Denn manchmal braucht man dafür Fingerfertigkeiten“, sagt Hans-Christian Schmitt. Hier stoßen Videos an ihre Grenzen.
Doch grundsätzlich kann man die Lehre auch in diesem Bereich ummodeln und per Video offerieren. Wenn es zum Beispiel bei einem Versuch gilt, lediglich auf einen Knopf zu drücken oder drei Flüssigkeiten zusammenzuschütten, ist die Anwesenheit im Labor nicht erforderlich. Insgesamt elf Versuche aus einer Auswahl von 15 Versuchen müssen die Studierenden durchführen. Zu zehn der 15 Versuche gelang es Hans-Christian Schmitt, so gute Videos zu drehen, dass die gezeigten und zu analysierenden Prozesse auch zu Hause im Studierzimmer problemlos nachvollzogen werden konnten.
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